- erotische Kunst
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erotische Kunst,Bezeichnung für Werke der bildenden Kunst, in denen das Sinnlich-Körperliche, die sexuelle Komponente der Liebe betont wird. Eine eindeutige Zuordnung ist schwierig, da einerseits zur erotischen Kunst auch Werke gerechnet werden, die vom Sinn her in einem mythischen Zusammenhang stehen, andererseits die Grenze zur Pornographie schwer zu ziehen ist.IIerotische Kunst,Bezeichnung für Werke der bildenden Kunst, in denen das Sinnlich-Körperliche, die sexuelle Komponente der Liebe betont wird. Eine eindeutige Zuordnung ist schwierig, da einerseits zur erotischen Kunst auch Werke gerechnet werden, die von ihrer Sinngebung her in einem mythischen Zusammenhang stehen, andererseits die Grenze zur Pornographie schwer zu ziehen ist.und Altertum: Aus der Altsteinzeit sind die jungpaläolitischen Venusstatuetten Europas und Sibiriens bekannt, die eine Überbetonung weiblicher Geschlechtsmerkmale zeigen, z. B. die Venus von Willendorf, die Venus von Dolní Věstonice, die Dame von Sireuil (Museum von Saint-Germain-en-Laye) oder die Venusstatuetten von Kostjonki am Don. Die Deutung ist umstritten, es werden in ihnen im Allgemeinen keine Götterbilder gesehen, sondern Fruchtbarkeitssymbole, die wahrscheinlich in Kult und Ritus eine Rolle spielten. Die späteren neolithischen Figuren aus Anatolien werden hingegen nach ihren Attributen als Darstellungen einer Muttergottheit, der »Herrin der Tiere« und Herrin über Tod und Leben, gedeutet. Die ältesten stammen aus Çatal Hüyük aus dem 7./6. Jahrtausend; die kleinen Tonfiguren aus dem 6./5. Jahrtausend aus Hacɪlar (bei Burdur) bilden die Prototypen für die anatolischen und ägäischen Idole der folgenden Bronzezeit (Kykladenidole, Darstellungen z. B. auf minoischen Siegeln). Der Ursprung der seit dem Hellenismus in Westanatolien und den Küstenstädten Syriens und des Libanons weit verbreiteten bekleideten Muttergottheiten (z. B. Artemis von Ephesos, Aphrodite von Aphrodisias) ist dagegen im 12.-8. Jahrhundert v. Chr. zu suchen. Paarungsszenen wurden in der Frühzeit ebenso wenig wiedergegeben wie in den alten Hochkulturen Ägyptens und Mesopotamiens. Vereinzelt wurden Phallussymbole gefunden. Eine eigentliche kleinasiatische phallische Gottheit war Priapus. In der griechischen Kultur war die Herme sehr alten Ursprungs, auch im Demeterkult und besonders im Dionysoskult hatte der Phallos Bedeutung; Teilnehmer der Dionysosfeste trugen große Attrappen; Satyrn und Silene aus dem Gefolge des Gottes wurden entsprechend, z. B. in den Satyrspielen, dargestellt. Höhepunkte der erotischen Kunst in der Antike sind griechische Vasenmalereien des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr., die ein hohes Maß an Ungezwungenheit zeigen und u. a. auch die Homosexualität einbeziehen. Die Göttin der Liebe selbst, Aphrodite (Venus), wird in der Antike nicht in erotischen Situationen dargestellt. Erotische Motive kommen auch in der etruskischen und römischen Wandmalerei, auf Spiegeln, Cisten, Tonmedaillons und Geschirr vor.und Neuzeit: Erst im 14. Jahrhundert gab es wieder eine erotische Kunst im profanen Bereich in Form von Illustrationen zu Dichtungen G. Boccaccios und in Wanddekorationen (San Gimignano). Zu den bevorzugten Motiven der spätmittelalterlichen Kunst nördlich der Alpen gehörten Liebesgärten, Badehausszenen und Jungbrunnen. Seit dem ausgehenden 15. und v. a. im 16. Jahrhundert wurden geeignete Motive der antiken Mythologie (Aphrodite/Venus, Ariadne, Artemis/Diana, Eros/Amor/Cupido, Leda, Paris und Helena, Bacchanalien, Faune, Satyrn und Nymphen) und der christlichen Kunst (Adam und Eva, Susanna im Bade, Bathseba im Bade, Joseph und die Frau Potiphars, Lot und seine Töchter) sowie Allegorien erotisiert (Botticelli, Leonardo da Vinci, Tizian, Correggio, Tintoretto, Veronese, H. Bosch, L. Cranach des Älteren, H. Baldung, Giovanni da Bologna). Die Künstler gerieten dabei häufig in Konflikt mit der Gerichtsbarkeit (Michelangelo, B. Cellini, Caravaggio in Italien, die Brüder Beham in Deutschland). Die größte Eindeutigkeit bei der Darstellung erotischer Szenen erreichte wohl Giulio Romano in einem für Papst Leo X. geschaffenen Zyklus, der 1524 in Stichen veröffentlicht wurde. Spezifisch höfische Motive zeigen die Werke der Schule von Fontainebleau. Ende des 16. und im Verlauf des 17. Jahrhunderts behandelten u. a. L. Bernini, H. von Aachen, J. Liss, S. Vouet, N. Poussin, F. Girardon, P. P. Rubens, J. Jordaens, H. Goltzius sowie niederländische Genremaler u. a. in Wirtshaus- und Kuppelszenen erotischer Themen. Im 18. Jahrhundert bot v. a. die französische Malerei einen großen Nuancenreichtum (A. Watteau, F. Boucher, H. Fragonard, J.-B. Greuze, A. Canova). Allgemein beliebt waren Kleinplastiken, die auch in Porzellan und Elfenbein (J. Elhafen) hergestellt wurden. Aus England kamen Beiträge zur erotischen Kunst von J. H. Füssli; der Schwerpunkt lag dort jedoch auf der Karikatur (W. Hogarth, J. Gillray, T. Rowlandson).Die Künstler des 19. Jahrhunderts suchten neue Ausdrucksmöglichkeiten (T. Géricault, E. Delacroix, G. Courbet, É. Manet, A. Renoir, H. Toulouse-Lautrec, J.-B. Carpeaux, A. Rodin). Konkurrenz erwuchs ihnen aus der neu entwickelten Daguerreotypie und der Fotografie. Neue Akzente setzten der Symbolismus (G. Moreau, F. Rops, M. Klinger, F. Khnopff, E. Munch) sowie G. Klimt und A. Beardsley. Als Meister der erotischen Kunst des 20. Jahrhunderts gelten H. Matisse, P. Picasso, A. Modigliani und M. Chagall. In Deutschland setzten sich in den ersten Jahrzehnten v. a. L. Corinth, die Expressionisten, M. Beckmann und Vertreter der Neuen Sachlichkeit (G. Grosz, O. Dix, C. Schad) intensiv mit erotischen Themen auseinander, in Österreich E. Schiele. Eine wichtige Rolle spielten erotische Motive in den Werken der Surrealisten. In der Folgezeit werden erotische Themen in den verschiedensten Kunstrichtungen von der Pop-Art (D. Hockney, A. Jones) über Happening (Wiener Aktionismus), die verschiedenen Formen des Realismus (E. Fuchs, P. Pearlstein, J. De Andrea) bis zu den Neuen Wilden (R. Fetting, L. Castelli, Salome) behandelt. Mit erotischen Zeichnungen und Grafiken sind v. a. H. Bellmer, P. Wunderlich, H. Janssen, P. Klossowski, A. Hrdlicka und A. Frohner hervorgetreten. In der künstlerischen Fotografie des 20. Jahrhunderts finden sich erotische Motive u. a. bei Brassaï, H. Newton, D. Hamilton, R. Mapplethorpe und R. Heinecken.In Ostasien fallen in den Bereich der erotischen Kunst: 1) Figurendarstellungen, die durch Tier-, Pflanzen- und Gegenstandssymbolik auf erotische und sexuelle Inhalte anspielen; 2) illustrierte Handbücher (»Frühlingsbilder«, chinesisch »Chunhua«; auch »Hochzeits«- und »Kopfkissenbücher«) mit realistischen Darstellungen erotischer Spiele; 3) Farbholzschnitte und Romanillustrationen. Das Interesse ostasiatischer Figurenmalerei war stets auf die linear aufgefasste Gewandfigur gerichtet, die anatomisch korrekte Wiedergabe des Körpers war nie ihr Ziel. Entsprechend erscheint der nackte oder halb entblößte Körper immer schemenhaft vereinfacht.In China ist die Existenz erotischer Handbücher schon für die Westliche Handynastie (202 v. Chr.-9 n. Chr.) belegt. Die sexuelle Vereinigung wurde als integraler Bestandteil der kosmischen Harmonie gesehen, welche durch das Gleichgewicht zwischen Yin und Yang garantiert war. Taoisten und Alchimisten propagierten die Kunst der Liebe als Mittel zur Verlängerung des Lebens; demgegenüber betonten die Konfuzianer den sozialen Aspekt der Fortpflanzung, die das Fortbestehen der Sippe und des Ahnenkultes sicherte. Zu den berühmten, nicht erhaltenen Werken zählen »Geheime Ausschweifungen in einer Frühlingsnacht« von dem Maler Zhou Fang (2. Hälfte des 8. Jahrhunderts) und die »39 Liebespositionen« des Literatenmalers Zhao Mengfu (13./Anfang 14. Jahrhundert). In der städtischen Kultur der Mingzeit (1368-1644) entstanden illustrierte erotische Romane, die u. a. Streifzüge durch berühmte Freudenviertel beschrieben. Tang Yin und Qiu Ying schufen verfeinerte erotische Gemälde, die den sexuellen Szenen einen lyrischen Stimmungsgehalt verliehen. Ungefähr ab 1570 wurden in Nanking die ersten erotischen Farbholzschnitte mit linearen Umrisszeichnungen gedruckt, die sich an diesen Vorbildern orientierten. Mit dem Beginn der Qingdynastie (1644-1911/12) wurde die Produktion erotischer Drucke eingestellt, ihr Einfluss bleibt jedoch in der Malerei spürbar.In Japan waren nach chinesischem Vorbild erotische Handbücher (»Shunga«) schon in der Narazeit (710-794) in Kreisen der Oberschicht populär. Das älteste im Original erhaltene Werk erotischer Kunst ist die Handrolle »Chigo no sōshi« (1321; Kyōto, Daigo-ji-Tempel). Durch das Medium des Holzschnitts (Ukiyo-e) entwickelte sich die Shunga in der Edozeit (1600-1868) zu einer Kunstform, die weiten Teilen einer städtischen Bevölkerung zugänglich wurde. In der Frühphase des Ukiyo-e (1660 bis um 1760) wurden auch erotische Buchillustrationen und Shunga-Alben geschaffen. In dessen Blütezeit (um 1760-1810, Vielfarbendrucke) ragen Suzuki Harunobu und Katsukawa Shunshō heraus. In seiner Zeit als führender Meister geschätzt - und auch in Europa weithin bekannt - ist Kitagawa Utamaro. Sein Kopfkissenbuch »Uta makura« (1788, »Liederkissen«) gilt als eines der vollkommensten Werke japanisch erotischer Kunst. In die Spätphase des Ukiyo-e (um 1810-50) gehören die erotischen Alben des Katsushika Hokusai, Utagawa Kunisada und des Utagawa Kuniyoshi.In Indien ist die erotische Kunst vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis 13. Jahrhundert n. Chr. fast ausschließlich Teil des plastischen Dekors sakraler Bauten. Ab dem 16. Jahrhundert kamen bei Miniaturenserien (Einzelbilder auf Papier oder Elfenbein) erotische Szenen vor. Im Figurenschmuck des Tempelbereichs gibt es v. a. zwei Gruppen von Darstellungen: das Paar in verschiedenen Stadien und Formen der sinnlichen Annäherung und die einzelne Frauenfigur, die ihre Reize zur Schau stellt. Steinfiguren üppiger junger Frauen (Yakshas), aus denen sich die brahmanischen Apsaras (himmlische Liebhaberinnen) entwickelten, schmücken die Eingangstore buddhistischer Tempel (Bhaja, Bharhut, Sanchi).In der Frühzeit der indischen Kunst (2. Jahrhundert v. Chr. bis 3. Jahrhundert n. Chr.) ist die Darstellung sich liebkosender Paare noch zurückhaltend und meist in einen erzählenden Zusammenhang eingebunden. Um die Zeitenwende treten im Eingangsbereich buddhistische Höhlentempel (Karla, Nasik) Paare auf, bei denen Vertraulichkeit nur angedeutet ist, in Karla (1. Jahrhundert v. Chr.) zum ersten Mal inschriftlich als »Mithuna« bezeichnet. In der klassischen Zeit (4.-6. Jahrhundert) wurden Türrahmen des Tempel- und Schreineingangs mit Liebespaaren geschmückt. In den nachklassischen Hindutempeln des Dekhan (6.-8. Jahrhundert) treten diese Darstellungen auch als Reliefschmuck im Tempelinneren auf, an den äußeren Tempelwänden im Wechsel mit Götterbildern und epischen Szenen (Badami). Vermutlich unter dem Einfluss des Tantrismus mit seinen Sexualritualen rückte nun auch der Sexualakt selbst in den Vordergrund der Darstellung. Im Mittelalter (9.-13. Jahrhundert) wurden die Tempelwände mit Skulpturenschmuck überzogen (Khajuraho, Konarak).Neben der Skulptur am Bauwerk gibt es losgelöste tantrische Kultbilder, die die sexuelle Vereinigung einer männlichen und einer weiblichen Gottheit zeigen (im Hinduismus meist Shiva und Shakti, im Buddhismus Upaya und Prajna, Allegorien von Praxis und Erkenntnis). Der Schöpfungsakt wurde als kosmischer Liebesakt eines göttlichen Prinzips verstanden, das sich zur Paarung in einen männlichen (Linga) und einen weiblichen (Yoni) Part teilt.Mit dem Vordringen des Islams (12./13. Jahrhundert) verschwand die erotische Skulptur im Nordwesten Indiens fast ganz, im Süden überlebte sie v. a. in Form von Bronze-, Messing- und Elfenbeinstatuetten. In der Malerei wurden drei Themenkreise ausgeschöpft: 1) die Legende um den Hirtengott Krishna und seine Tändeleien mit seinen Geliebten; 2) in Serien von meist 36 Bildern in Anlehnung an das indische Musiksystem wiedergegebene Stimmungen der Seele (Ragamala); 3) die Thematik des Nayika-nayaka (Geliebte/Geliebter), die verschiedenen Frauentypen in unterschiedlichen Situationen der Liebesbeziehung zeigt. Zahlreiche subtile Darstellungen dieser Themenkreise brachten die Malschulen des Punjab und Rajasthans, u. a. Schulen der Rajputmalerei, im 17./18. Jahrhundert hervor. Die sich liebkosenden Paare wurden in dieser Periode fast vollständig bekleidet dargestellt. In der Farbgebung und in unauffälligen Details steckt eine subtile erotische Symbolik. Die Patnaschule des 19. Jahrhunderts stellte Liebesszenen im Kontext des dörflichen Lebens dar.E. Fuchs: Gesch. der e. K., 3 Bde. (1908-26, Nachdr. 1977);Erotic colour prints of the Ming period, with an essay on Chinese sex life. .., hg. v. R. H. van Gulik (Tokio 1951);E. Lucie-Smith: Das Erotische in der Kunst (a. d. Engl., 1972);Meisterwerke der e. K. Japans, hg. v. F. Winzinger (1977);K. Fischer: Erotik u. Askese in Kult u. Kunst der Inder (1979);C. Grosbois: Jap. Studie über die erot. Darstellung in der jap. Kunst = Shunga (Neuausg. 1979);Bradley Smith: Meisterwerke der e. K. des 20. Jh. (a. d. Engl., 1981);E. K. der Antike, hg. v. D. Mountfield (a. d. Engl., 1982);Der Garten der Lüste. Zur Deutung des Erotischen u. Sexuellen bei Künstlern u. ihren Interpreten, hg. v. R. Berger u. D. Hammer-Tugendhat (1985);E. G. Baur: Meisterwerke der e. K. (1995);Der kalte Blick. E. K. 17. bis 20. Jh., hg. v. P. Weiermair (Kilchberg-Zürich 1995).
Universal-Lexikon. 2012.